Mittwoch, 20. Juni 2012

Thema verfehlt

Will Gauck kein Bürgerpräsident sein?

Hinterher ist man immer schlauer: Nach dem Rücktritt von Christian Wulff als Bundespräsident von "Bilds" Ungnaden und vor der Wahl von Joachim Gauck dachte ich, dass dieser 73-Jährige ins Schloss Bellevue einziehen sollte, damit die Wirklichkeit aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und verändert wird. Die Kritik, Gauck beschränke sich zu sehr auf den Freiheitsbegriff, konnte ich nicht nachvollziehen, weil Freiheit die Voraussetzung für alles ist, wenn man darunter Entfaltungsmöglichkeiten für jene Bürgerinnen und Bürger versteht, die ihr Leben im Einklang mit dem Leben anderer gestalten und genießen wollen.

Gauck deutet Freiheit offenbar anders, ein Bürgerpräsident will er wohl nicht sein. Müsste er aber sein, wenn er die von ihm beklagte Kluft zwischen Politik und Gesellschaft tatsächlich schließen will, denn an dieser Kluft sind nicht die Bürgerinnen und Bürger schuld. Er müsste sich hinauswagen in den Alltag. Dann würde er schnell feststellen, dass die Menschen überall die gleichen Hoffnungen und Sorgen haben. Größte Sorgenbereiterin sind in allen Ländern die Regierungen, die sich jede Freiheit herausnehmen, wenn es um den Machterhalt und den eigenen Vorteil geht. Die Folgen dieser Rücksichtslosigkeit kann man sich jeden Abend per Fernbedienung ins Haus holen und wieder wegzappen.

Schon nach den ersten Reden muss man Gauck zurufen: "Thema verfehlt." Herr Bundespräsident, Regierungen besuchen und eine gute Figur machen, ist das eine, diesen Herrschaften aber die Leviten lesen, weil sie alle irgendwie durchgeknallt sind, wäre etwas Neues. Aber mit Neuem fängt Gauck nicht einmal im Kleinen an.

Seit drei Monaten warte ich auf eine Antwort zu meinem Vorschlag, dass die Akten von Jugendämtern zentral gelagert werden sollten, damit sich Eltern schnell und umfassend informieren können.  Mütter und Väter, die um ihre Kinder kämpfen, dürfen in Deutschland nicht mit fairen Verfahren rechnen. Das sage nicht ich, das sagen europäische Instanzen. Eltern kämpfen gegen die Zeit, die Behörden willkürlich verstreichen lassen. Das Recht von Kindern auf ihre Geschwister wird mit Füßen getreten. Über Menschen, die helfen wollen, sammeln Jugendämter Informationen, die nicht herausgerückt werden.

In Deutschland werden täglich Familien zerstört, andere Familien wissen nicht, wie sie fianziell den Monat überstehen sollen, sie leben von der Hand in den Mund und haben für theoretische Erörterungen des Freiheitsbegriffs weder Zeit noch Lust, sie müssen sich auch noch als Verlierer verhöhnen lassen, während kleine und große Gauner als clever gelten. Wie jener Kunde eines Sägewerkes aus Neuwied, der dem Lieferanten sagt, wenn ich die gesamte Rechnung begleichen soll, bekommst du gar nichts, finde dich also mit einer geringeren Summe ab. Oder wie jene Manager, die sich Totalversagen fürstlich entlohnen lassen.

Ein Bundespräsident muss sich nicht mit Koalitionspartnern herumschlagen, auf den nächsten Wahltermin schielen, sich tagespolitisch verschleißen, ein Bundespräsident darf den Blick schweifen lassen. Das geht aber nicht in geschlossenen Räumen. Ein Bundespräsident, der von Empfang zu Empfang eilt, erfährt nichts. Nirgendwo wird so viel gelogen wie bei offiziellen Anlässen.



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