7. Juni 2010
Ein Hund - aber kein Impfpass
An meiner Pinwand hängt immer noch ein Gebührennachweis mit der Nummer 106392. Aussteller ist der Veterinärhygienische Verkehrsüberwachungsdienst beim Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR. Zwei Westmark habe ich bezahlt. Für ein Kleintier "gemäß Abgabenordnung über die Gebühren für Leistungen des Veterinärwesens im grenzüberschreitenden Verkehr mit Tieren, tierischen Erzeugnissen und Rohstoffen".
Kostenverursacher war "Einstein", ein Terriermischling, der sich bei Autofahrten auf der Rückbank zusammenrollte und keinen Mucks von sich gab. Wir näherten uns gegen 21 Uhr dem Grenzübergang Marienborn, meine Frau machte sich auf die Suche nach unseren Pässen, fand sie, den Impfpasse von "Einstein" fand sie aber nicht. Den hatten wir vergessen.
Umkehren war nicht mehr möglich. Die Zufahrt war eng, rechts gab es ein Fließband für die Ausweise. "Was machen wir nun?" fragte meine Frau, die nicht zum ersten Mal in die DDR fuhr, für mich war es im August 1986 der erste Besuch.
"Leg doch erst einmal unsere Pässe auf das Band. Dann sehen wir weiter. Die werden uns schon nicht den Kopf abreißen."
"Ich habe Angst." Hatte sie immer, wenn sie ihre Tante und ihren Onkel in Dittersdorf besuchte. In der DDR rechnete sie stets mit dem Schlimmsten. Sie malte sich Verhaftungen bei Nacht und Nebel aus, Gefängnisaufenthalte wegen nichtiger Anlässe. Wie jetzt bei einem vergessenen Impfpass.
Die Autoschlange bewegte sich langsam vorwärts, endlich lagen unsere Pässe auf dem Band, das sich schneller bewegte als wir. Ich schaltete das Licht ein.
"Bald ist es so dunkel, dass sie ´Einstein´ auf der Rückbank vielleicht gar nicht sehen", schöpfte meine Frau Hoffnung, die ich sogleich zerstreute: "Denk an die Rückfahrt. Zweimal werden die unseren Hund wohl kaum übersehen."
Nun hatten wir kein Auto mehr vor uns. Meine Frau rutschte auf dem Beifahrersitz ein wenig nach unten. "Einstein" rührte sich nicht. Der Grenzbeamte fragte aus seinem Häuschen: "Haben Sie Geschenke dabei?" Hatten wir. Aber auch einen Hund ohne Impfpass.
Bevor der Grenzbeamte weitere Fragen an uns richten konnte, legte ich das Geständnis eines Vergesslichen ab.
"Dann fahren Sie mal auf den Parkplatz", sagte der Grenzbeamte und griff zum Telefon.
Auf dem Parkplatz stiegen wir aus, "Einstein" sprang auf den Beifahrersitz, dann nach draußen.
"Setz ihn wieder ins Auto", zitterte die Stimme meiner Frau. Doch "Einstein" war bereits bei der Gestalt, die aus der Dunkelheit auftauchte.
"Machen Sie den Hund bitte fest", sagte der Grenzbeamte.
Dann ordnete er nicht etwa unsere Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland an, sondern bat uns um Geduld: "Wir haben einen Tierarzt angerufen. Der wird etwa in einer Stunde da sein. Verlassen Sie bitte den Parkplatz nicht."
Schon verschwand er wieder in der Dunkelheit.
Der Tierarzt war pünktlich, er streichelte kurz "Einstein" und schon stand für ihn fest: "Der Hund ist gesund."
Der Tierarzt drückte mir den Gebührennachweis in die Hand, ich gab ihm zwei Westmark.
"Verlieren Sie die Quittung nicht. Die brauchen Sie, wenn Sie die DDR wieder verlassen", verabschiedete er sich.
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