9. Juni 2010
Ein Staat leidet unter Sammelwut
Warten auf einen Tierarzt macht durstig. Also steuere ich nach wenigen Kilometern auf den Straßen des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates eine Raststätte an.
"Der Hund bleibt aber im Auto", sagt meine Frau. Ich drehe mich um. "Einstein" schläft. Ein Gebührennachweis ist offenbar ein sanftes Ruhekissen.
Die Eingangstür knarrt ein wenig, an der Theke stehen zwei Volkspolizisten und trinken Bier. An der Wand hängt ein Foto von Erich Honecker.
"Guck mal", sage ich zu meiner Frau, "das muss ein Konfirmationsfoto von Honecker sein. So jung ist der doch gar nicht mehr."
Die Volkspolizisten verschlucken sich vor Lachen an ihrem Bier. Meine Frau zieht mich von der Theke weg. Wieder hat sie Angst. Doch die beiden Volkspolizisten stellen mich nicht zur Rede. Sie gehen.
"Irgendwas ist anders als sonst", sagt meine Frau.
"Könnte an Gorbatschow liegen. Vielleicht sind die inzwischen etwas lockerer."
Doch an Sammelwut leidet die DDR immer noch, erfahren wir in Dittersdorf. Bekommt eine Familie Besuch aus dem Westen, muss der vermerkt werden. Dafür haben die Tante und der Onkel meiner Frau ein Heft, das sie den Behörden vorlegen müssen.
"Je mehr Westbesuch eine Familie bekommt, desto mehr wird sie überwacht", sagt der Onkel meiner Frau, der wie seine Frau noch nie zu einer Wahl in der DDR gegangen ist.
"Die kommen mit der Urne immer zu uns und fordern uns zur Stimmabgabe auf. Wir wählen aber trotzdem nicht." Dafür nimmt die Familie viele Nachteile in Kauf. Die Tochter darf auch deswegen nicht studieren. Da sie auch noch eine Christin ist, für die eine Mitgliedschaft in der FDJ nicht infrage kommt, wird sie irgendwann froh darüber sein müssen, dass sie überhaupt einen Arbeitsplatz bekommt.
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